Vor 100 Jahren machte sich das Osmanische Reich, auf Veranlassung seiner jungtürkischen Regierung, an mehreren Völkermorden an seinen christlichen Bevölkerung schuldig, namentlich an den Armenier_innen, Griech_innen, Assyrer_innen, Aramäer_innen und Chaldo-Assyer_innen.
Das Deutsche Reich machte sich als Verbündeter des Osmanischen Reiches mitschuldig an den Völkermorden, da die deutsche Regierung zwar genau über die Vorgänge bei ihrem osmanischen Verbündeten Bescheid wusste, jedoch aus Staatsraison und strategischem Interesse nicht einschritt. So fielen den gezielten Verfolgungen, Massakern, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Tötungen, Todesmärschen, Deportationen etc., je nach Schätzung, ca. 1 Mio. – 1,5 Mio. Armenier_innen; ca. 450.000 – 900.000 Griech_innen, darunter ca. 360.000 Pontosgriech_innen; ca. 150.000 – 300.000 Assyrer_innen, Aramäer_innen und Chaldo- Assyrer_innen zum Opfer. Dies entspricht also, je nach Schätzung, von insgesamt ca. 1,6 Mio. – ca. 2,7 Mio. getötete Menschen im Zeitraum von ca. 1913/14 – ca. 1923/25.
Deutschland, als Mitschuldiger, weigerte sich 100 Jahre lang auch nur einen dieser Völkermorde anzuerkennen, bis es letztlich 2015 den Völkermord an den Armenier_innen weniger als mehr anerkannte, da es keinen offiziellen Beschluss dazu gibt, leider blieb es bei diesem einen Völkermord. Die Türkei erkennt bis heute die Völkermorde nicht an und leugnet diese vehement.Aber auch in der Übergangsphase vom Osmanischen Reich zur Republik Türkei wurden unter, dem später Atatürk genannten, Mustafa Kemal Pascha die Völkermorde teilweise fortgeführt und neue Massaker begangen, unter anderem das Massaker von Dersim 1937/38 an den dort ansässigen (alevitischen) Kurd_innen und auch nach Atatürks Tod wie die Pogrome am 6./7. September 1955 an den Griech_innen und Armenier_innen von Istanbul.
100 Jahre später legt Deutschland der Türkei gegenüber wieder ein überaus wohlwollendes Verhalten an den Tag. Auch heute drückt die Bundesrepublik der Türkei gegenüber mehrere Augen zu um damit nicht eventuell die türkische Regierung zu verprellen und so nicht die eigenen Interessen in Gefahr zu bringen.
Um welche Interessen handelt es sich dabei?
Zum einen um wirtschaftliche Interessen, da die BRD mit einem Handelsvolumen von 36,8 Mrd. Euro im Jahre 2015 der größte Handelspartner der Türkei ist. Zum anderen gibt es da noch das sogenannte Flüchtlingsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Türkeiabgeschlossen wurde. Dieses Abkommen, welches eine gestaffelte Zahlung von zwei Mal drei Mrd.Euro an die Türkei vorsieht, spielt der deutschen Regierung in die Hände, da es den Flüchtlingsstrom von der Türkei in die Ägäis und damit auch über die Balkanroute nach Deutschland stoppen soll und es teilweise schon tut.
Auch der Umgang von Präsident Recep Tayyip Erdoğans und der türkischen Regierung unter Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu mit der kurdischen Bevölkerung der Türkei (vor allem im Südosten der Türkei), der Opposition, besonders, im Kontext der kurdischen Frage, mit der HDP, mit Journalist_innen und Jurist_innen, welcher sich durch Unterdrückung, Repression, Bekämpfungund Bekriegen äußert, wird von der Bundesregierung gekonnt übersehen.
So äußerte sich Innenminister Thomas de Maizière gegenüber der Passauer Neuen Presse: „Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein“. Dies erinnertleicht und im Grundgedanken an Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, welcher Ende 1915 sagte: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Übersetzt bedeuten beide Sätze, dass man als deutsche Regierung bereit ist zur Umsetzung der eigenen Ziele auf die
Einhaltung einfachster humaner Grundsätze von Seiten der türkischen Regierung zu verzichten und weder bereit ist ernstliche Kritik zu üben oder sich selbst vollumfänglich an entsprechende Grundsätze zu halten.
Denn schließlich steht jenes Flüchtlingsabkommen konträr zu den Menschenrechten, auch wenn, oder gerade deshalb, für jeden in die Türkei abgeschobenen Flüchtling, welche für die EU zum Großteil „illegale Einwanderer_innen“ sind, ein syrischer Flüchtling aufgenommen werden soll. Zumal man ja zu diesem Zweck mit ja einem Despoten paktiert.
Jener Despot ist sich nicht zu Schade in seinem Wahn, seit seinem Amtsantritt als Präsident am 28. August 2014 über 1800 Anzeigen, darunter auch gegen Minderjährige, wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes zu erstatten. Und so wütet Erdoğan auch gegen Satiriker_innen in der BRD um auch diese zur „Rechenschaft“ zu ziehen, wie im Falle von extra 3 und Jan Böhmermann. Die Böhmermann-Affäre ist jedoch nur ein Symptom der mehr oder minder kontinuierlichen Politikder deutschen Regierungen seit 100 Jahren, welche davon geprägt ist die türkischen Regierungen aus Eigeninteresse möglichst nicht derart zu verprellen, dass darunter eben jene Interessen leiden.