Es ist der 13.12.2021 es ist kalt und regnet in Dresden. Ich hatte um 07:00 Uhr meinen Dienstbeginn beim Gesundheitsamt. Seit 18 Monaten arbeite ich fast jeden Tag, 50 bis 60 Stunden die Woche. Ich rufe Menschen an, die Corona haben. Jeden Tag neue Schicksale. Neues Entsetzen, neue Ängste vor Corona. So weit so normal. Den Menschen in der Pflege geht es hundertmal schlimmer, sie sind entkräftet und schlecht bezahlt.
An diesem Tag gingen in Dresden an die 200 Menschen auf die Straße. Mobilisiert von den „Freien Sachsen“, „Studenten stehen auf“ und anderen rechtsradikalen Kleingruppen. Sie marschieren durch die Innenstadt, zeigen ihre hässliche Fratze – feiern ihren Todeskult. In der Stadt sind gestern 29 Menschen an den Folgen von Corona verstorben. 70 Menschen wurden eingeliefert. 1299 neue Infektionen sind dazu gekommen. Der Todeskult nahm dies zum Anlass, vor dem Krankenhaus zu „protestieren“ und die Einfahrt zu blockieren. Im Inneren kämpfen Menschen um ihr Leben, andere haben den Kampf verloren. Vor der Pforte werden diese Menschen – diese Schicksale – verhöhnt. Die Menschen draußen sehen sich als Kämpfer ihrer „Freiheit“, dabei feiern sie nur sich selbst und ihren Egoismus. Sie sehen sich als Opfer einer Politik, von der sie sich schon lange abgewandt haben.
Die „Protestierenden“ marschieren zusammen mit Nazis auf und erklären sich diese durch „Einschleusungen“. Diese Menschen sind so tief in ihrem Verschwörungssumpf, ihrer kognitiven Dissonanz, dass alles, was nicht reinpasst, direkt in eine Verschwörungserzählung gegossen wird.
Diese Verschwörungserzählung macht auch vor ihrem engsten Kreis nicht halt. Der feige Mord über die Maßnahmen an einem Tankstellenwart in Idar-Oberstein war da nur der Anfang. In Königs-Wusterhausen brachte ein Mann seine Frau, seine Kinder und sich selbst um – Motiv war die Angst vor Strafverfolgung wegen eines gefälschten Impfausweises. In einschlägigen Chatgruppen findet dieses Motiv Widerhall. Viele schreiben dort, auch sie würden bei „der momentanen Entwicklung“ sich und ihre Angehörige töten. Solche Radikalisierungen münden oft in Taten, die viel Aufmerksamkeit erzeugen sollen, in Amokläufen und Anschlägen. Die Innenminister nahmen sich dem Thema viel zu spät an. Zu lange wurde von Verständnis gesprochen gegenüber einer Bevölkerungsgruppe, die gar keines will. Agitiert und radikalisiert von rechtsradikalen Kleingruppen, die nicht die Macht der Parlamente suchen wie die AfD, sondern den Volkszorn auf der Straße. Eine traurige Entwicklung schleichender dezentraler Radikalisierung, die in immer größeren Gewaltspiralen eskaliert. Den Nährboden hat ebenfalls die Politik zu verantworten. 2 Viel zu lange wurde rechte Gewalt und ihr Radikalisierungspotenzial kleingeredet. Faschistische Terroristen waren verwirrte Einzeltäter, es wurde unter der Hand von Verständnis für die Reaktion gesprochen. Dieses Versagen trägt Früchte. Der Nährboden ist eine steigende soziale Spaltung durch die Verwerfungen der postkapitalistischen Gesellschaft und den Rülpsern der autoritären Vergangenheit.
Eine Polizei, welcher oft unterstellt werden kann, selbst nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Politische Akteure, die sich selbst aus Profitinteressen am nächsten sind und eine gesellschaftliche Stimmung, die das Individuelle über die Solidargemeinschaft stellt. Garniert wird das Elend mit einer Politik, die auf Abwieglung statt Aufklärung setzt und den Staatsfeind ausschließlich im linken Spektrum sucht.
Auch die Wissenschaft beschreibt, dass diese Menschen nicht mehr wirklich zu erreichen sind. Wer Pandemiebekämpfung ernstnehmen möchte, der muss den braunen Sumpf trockenlegen. Der Staat der sich gerne als Stark aufspielt, gerade bei linken Protesten, wirkt in diesen Situationen maßlos überfordert und weit weg.
Die Sorge, die mich ergreift, ist eher das, was nach zwei Jahren Corona kommt. Die Decke der Zivilisation ist sehr dünn, sie hat nicht nur Risse, sie fehlt an vielen Stellen komplett. Es ist ein Elend, dazu noch ein hausgemachtes.